TanzArtFestival Görlitz

TanzArtFestival Görlitz und Interface II in der ehemaligen Kofferfabrik Exergon

TANZGLÜCK IN GÖRLITZ

Das erste TanzArtFestival wurde zum Erfolg

Na bitte. Stimmt doch. Jeder Mensch ist Tänzer. Es müssen nur Gelegenheit und Stimmung zusammenkommen, schon greift die Lust an der Bewegung um sich und ein Fest für alle durchbricht Grenzen des Alltags.
Beim fulminanten Finale des ersten Görlitzer TanzArtFestivals wackelten in der Galerie „exergon“, die Wände. Das an Höhepunkten nicht gerade arme Fest ging zu Ende und die allermeisten Besucher meinten, dass sie jetzt wüssten, was ihnen bisher in Görlitz gefehlt hat. Für Stimmung sorgten Gäste aus Dresden. Samuel Meystre mit seinem „volksballett kollektiv – vobalko“ und der „banda comunale“, jener zehnköpfigen Männerblaskapelle mit dem rasanten Charme unwiderstehlicher Vollblutmusikalität, ließen mit „LoveHate“ die Emotionen hoch gehen. Die große Show und die abgrundtiefe Einsamkeit, Höhenflug und tiefer Sturz, die Unmöglichkeit eine Spur von Ordnung ins Chaos der Gefühle zu bringen. Der Tanz mit Elementen mitreißender Unterhaltung und expressiver Entäußerungen, die den Bereich der Schmerzerfahrung ebenso wenig auslassen, wie den des Humors, ist bestens geeignet aus Unglück Vergnügen werden zu lassen. Eine exzellente Kompanie, die grellen kichernden und im Übermut krachenden Klangfantasien der Banda-Bande dazu sorgen genau für jene wilde Mischung die am Ende dieses Festivalausklanges alle eint in dem Wusch nach Fortsetzung im nächsten Jahr. Die soll es auch geben, sagen die Veranstalter.
So gelungenen wie das Finale war auch der Start des Festivals, das vielversprechend begann und fortsetzte, was die Görlitzer Tanztheaterchefin Gundula Peuthert zu Beginn ihrer Arbeit im Jahre 2006 noch als Vision beschäftigte. Jeweils am Ende der Saison, außerhalb des Theaters, nach besonderen Vorgaben, sollten polnische und deutsche Choreografen mit ihrer Kompanie arbeiten. „Interface I“ im Jahre 2007 wurde ein Erfolg. Mit „Interface II“, in der Galerie „exergon“, einer ehemaligen Kofferfabrik mit dem brüchigem Charme der Vergänglichkeit, ganz nahe am Grenzfluss, wurde das erste TanzArtFestival Görlitz-Zgorzelec eröffnet.
In konzeptioneller Korrespondenz zum Ort und zum Anlass entstanden vier Arbeiten, die sich auf unterschiedliche Weise, bei einer musikalischen Vorgabe, mit Grenzbereichen von mancherlei Art auseinandersetzen. In der Choreografie „infante“ von Jacek Krawczyk geht es um Grenzen zwischen männlichen und weiblichen Automatismen, Joanna Czajkowskas poetische Arbeit „the moment“ führt in den Bereich der Grenze zwischen Leben und Tod. Holger Bey nennt seinen Beitrag „Reines Land“ und lässt auf einer Bühne voller Reis die Zeit verrinnen und verrieseln. Die sichtbaren und unsichtbaren Grenzen in einer Stadt ohne Grenzstationen geben den Hintergrund für Christoph Winklers Arbeit „2:0“. Spielerisch und leicht, leichtfertig nie, hart am Boden und übermütig im Höhenflug, erleben wir Situationen, in denen es aufeinander zu und aneinander vorbei geht. Dem Auftakt folgten Gastspiele aus dem Nachbarland Polen, aus Israel, Kroatien und Deutschland, zumeist ebenfalls international besetzte Produktionen, aus Berlin und Dresden.
Am Wochenende gab es einen Endspurt, der konnte sich sehen lassen. Langeweile kam nicht auf. Ob im Gymnasium auf der polnischen Seite der Stadt, im Theater auf der Hinterbühne oder in der Galerie „exergon“, dem Zentrum des Festivals, man hatte ganz tanztheatergemäß zu rätseln, man wurde verunsichert, man brauchte die Geduld ebenso wie die Bereitschaft, die Gefühlsschleusen zu öffnen, sich mitnehmen zu lassen von der Eleganz perfekter Bewegungen zu betörenden Klängen, aus dem Off eingespielt, oder in zunehmendem Maße live gesungen und musiziert. Hier wurde nichts neu erfunden, aber das, was es gibt, in glücklichen Fügungen präsentiert. Das Programm eines Festivals ist eine Sache, seine Grundstimmung, Offenheit und kommunizierbarer Anspruch die andere. Beides macht die Qualität bei sehr unterschiedlichen Beiträgen aus. Die hätten zum Beispiel nicht gegensätzlicher sein können, als am Sonntag nacheinander das Teatr Okazjonalny aus Gdansk seine Produktion „D-KOD-R“ zeigte und darauf Gundula Peutherts Choreografie „Die dicke Frau“ mit der „Wee Dance Company“ aus Berlin folgte. War das Tanztheater aus Polen für zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer eher dunkel, verrätselt, das Psychogramm der Einsamkeit zu viert in verstörenden Lichtlabyrinthen bei atemberaubender tänzerischer Kompetenz und Präsenz, so zauberten die beiden Ausnahmetänzer Dan Pelleg und Marco E. Weigert im heiter und exzellent getanztem Zusammenspiel regelrechte Sonntagsstimmung mit Kaffee und Kuchen auf die Bühne, um ihrer Unsicherheiten im Umgang mit der „dicken“ schwangeren Frau, Isabel Neuenfeld die nicht tanzen aber dafür wunderbar singen kann, Herr zu werden. Wunderbares Augenzwinkern, wenn das „dickste“ aller Instrumente, ein Kontrabass, zärtlich gezupft von Andreas Hirtler, dieses schöne Lebens- und Liebesspiel, zu dem sich noch ein kleiner Wunderklang von Zauberglöckchen gesellt, begleitet. Tags zuvor, unter dem Titel „endless love“, zu Aufnahmen mit Vladimir Horowitz, der Chopin und Schumann spielt, bzw. musikalisch träumt, korrespondiert von einem Tondokument mit Anton Rubinstein, der einem Schüler Schumanns „Träumerei“ erläutert, gestaltet Mariana Krajac aus Zagreb ein berührendes Stück von der Schwierigkeit, den Träumen von der Leichtigkeit mit ganzem Körper nach zu kommen. Der schweißdurchzogene Raum, die Sporthalle des polnischen Gymnasiums, gibt das geniale Ambiente für diese performative Tanzarbeit von der Kunst des Misslingens. Am Ende, die zerbrechliche Frau inmitten von vierzig blütenlosen Topfpflanzen, ein trauriges Rätsel mit Langzeitwirkung.
Vier Beispiele von so unterschiedlicher Art, vier Annäherungen in Versuchen, mit dem, was so vergänglich ist wie der Tanz, Glücksmomente zu verschenken. Das ist gelungen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil man am Ende des ersten TanzArtFestivals in Görlitz-Zgorzelec den Eindruck hat, es wird wieder getanzt im Tanztheater. Es gibt wieder Sprünge, Drehungen und Hebungen die fast klassisch anmuten, synchron zu sein ist nicht verpönt, und der Ausflug in die Gefilde der Show wird nicht unternommen um sich zu erheben, sondern um sich an dem, was erfrischt, zu erfreuen. Dafür gibt es weniger einsame Contactimprovisationen mit dem Boden und der Luft bei vorherrschender Dunkelheit als moralisierende Beschwörung von Unlust.
Von der Lust des Beginnens war dafür viel zu spüren. Fortsetzung folgt. Und das ist gut so.

Veröffentlicht am 24.07.2008, von Boris Michael Gruhl

2008, Gerhart-Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau

Bilder